Entwicklungspsychologische Beratung im Kinderschutz

Interview mit Psychologin Lidija Baumann

Eine enge Eltern-Kind-Beziehung und eine sichere emotionale Bindung sind zwei wesentliche Voraussetzungen für ein gesundes Aufwachsen. Doch gerade bei biographischen Vorbelastungen und in schwierigen Lebenssituationen ist es für Eltern nicht immer ohne Hilfe möglich, die notwendige Feinfühligkeit für ihren Säugling oder ihr Kleinkind zu entwickeln. Unterstützung bekommen sie in speziellen Angeboten wie der Entwicklungspsychologischen Beratung (EPB) zur Förderung der elterlichen Feinfühligkeit in der frühen Kindheit.

Diplom-Psychologin Lidija Baumann wendet die EPB bereits seit 18 Jahren in ihrer praktischen Arbeit an. Ihre Expertise und langjährige Erfahrung bringt sie als Referentin in der berufsbegleitenden Weiterbildung „Entwicklungspsychologische Beratung für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern“ ein.

Im Interview spricht sie mit uns über die besonderen Qualifikationen der Weiterbildung und gibt Einblicke aus ihrer Arbeit, wie die EPB Familien konkret helfen kann:

Weshalb ist es wichtig für Eltern, dass sie über die Entwicklungsschritte ihrer Kinder Bescheid wissen und inwieweit kann hier eine Entwicklungspsychologische Beratung unterstützen?

„Für eine sichere emotionale Bindung brauchen Säuglinge und Kleinkinder feinfühlige Eltern, die vor allem die Belastungszeichen ihrer Kinder lesen können. Eine sichere emotionale Bindung ist ein wesentlicher Schutzfaktor für spätere Belastungssituationen und ihre Bewältigung. Die Entwicklungspsychologische Beratung unterstützt Eltern in ihrer elterlichen Feinfühligkeit, besonders in belastenden Lebenssituationen (z. B. Schreibabys, jugendliche Eltern oder psychisch kranke Eltern).“

Was zeichnet Fachkräfte, die zur Entwicklungspsychologischen Beratung speziell weitergebildet sind, aus und welchen Beitrag können sie damit in ihrem Team bzw. in ihrer Einrichtung leisten?

„In der Ausbildung lernen Fachkräfte die Feinzeichen von Belastung bei Säuglingen und Kleinkindern zu erkennen, die Feinfühligkeit von Eltern einzuordnen und Eltern mit Hilfe der Methode der Videographie beraten zu können. Für ihr Team oder ihre Einrichtung können ausgebildete EPBler*innen vor allem mit ihrem entwicklungspsychologischen Wissen über Säuglinge und Kleinkinder unterstützen.“

Durch deine langjährige Tätigkeit im Kinderschutz-Zentrum Kiel hast du selbst viel Praxiserfahrung in der entwicklungspsychologischen Beratungsarbeit. Kannst du uns anhand eines konkreten Falls erklären, wie du die EPB in deiner praktischen Arbeit anwendest?

„Da ich bereits seit 18 Jahren mit dieser Methode mit Eltern und ihren Säuglingen arbeite, könnte ich sehr viele Fallbeispiele schildern. Ich bin davon fasziniert, wie viel schon junge Säuglinge zeigen was sie brauchen, was sie belastet und wie sehr sie sich anstrengen, um ihre Eltern zu erreichen. Mit der Methode der Videographie vermittelt man Eltern nicht nur entwicklungspsychologisches Wissen, sondern kann es ihnen anhand konkreter Verhaltensweisen direkt erklären. Auch sie sind dann fasziniert, wie ihr Kind mit ihnen spricht. Und es ist oft sehr entlastend für Eltern ihr Kind lesen zu lernen.

Zum Beispiel zeige ich oft Eltern, dass Säuglinge, wenn es ihnen zu viel wird, ihren Kopf zur Seite drehen und eine Pause machen. Frau B., 21 Jahre alt, erlebte dieses Wegdrehen des Kindes als Ablehnung. Da sie selber viel Ablehnung in ihrem Leben erlebte, zwang sie das 3 Monate alte Kind sie anzuschauen. Der Säugling fing dann an viel zu schreien. Die Methode der EPB konnte diesen beginnenden Teufelskreislauf zügig durchbrechen.“

Die EPB ist besonders wirksam, um die Beziehung zwischen Eltern und ihren Säuglingen und Kleinkindern zu stärken. Könntest du uns das auch an einem Beispiel verdeutlichen?

„Eltern und ihre Säuglinge entwickeln schon in den ersten Monaten eine emotionale Bezogenheit aufeinander. Die ist nicht perfekt abgestimmt. Denn Eltern lernen ihr individuelles Baby erst kennen. Und auch Säuglinge lernen, wie sie mit ihren Elternteilen gut umgehen können. Sie zeigen ihnen was sie brauchen und passen sich an sie an. So entsteht ein harmonischer Tanz zwischen Eltern und Kindern und beide hören dieselbe Lebensmelodie.

Die Lebensmelodie der Eltern kann von biographischen und psychosozialen Belastungsfaktoren verändert sein. Frau L. kommt in die Beratung, da sie die kindlichen Töne ihres 6 Monate alten Kindes nicht erträgt. Auf dem Video konnte sie sehen wie ihre Tochter sie animiert, um mit ihr zu kommunizieren. Die Entwicklungspsychologische Beratung konnte der Kindesmutter so helfen, einen Zugang zu den Lauten ihrer Tochter zu finden und einen Zusammenhang zur eigenen biographischen Belastung herzustellen.“

Vielen Dank, Lidija!

Lidija Baumann ist Diplom-Psychologin, psychologische Psychotherapeutin und Leiterin des Kinderschutz-Zentrums Kiel.

Weiterbildung

In Kooperation mit dem Institut für Kindheit und Entwicklung bieten wir die berufsbegleitende Weiterbildung „Entwicklungspsychologische Beratung für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern“ an.

Für die Weiterbildung 2023 sind leider keine Plätze mehr frei.