Hochstrittigkeit von Eltern und die Auswirkungen für Säuglinge und Kinder

3 Fragen an Prof. Dr. Ute Ziegenhain

Die Arbeit mit hochstrittigen Eltern oder Bezugspersonen und ihren Kindern stellt für viele Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe eine enorme Herausforderung dar. Denn eine konflikthafte Trennung oder Scheidung belastet das ganze Familiensystem. Gerade die Kinder geraten dabei häufig aus dem Blick.

Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern wird von Beteiligten oft angenommen, dass sie von dem Konflikt nur wenig mitbekommen würden. Ein Trugschluss, wie Prof. Dr. Ute Ziegenhain weiß. Sie leitet die Sektion Pädagogik, Jugendhilfe, Bindungsforschung und Entwicklungspsychopathologie an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm.

Im Kurzinterview ordnet sie Hochstrittigkeit in familiären Trennungs- und Scheidungssituationen ein, nimmt dabei konkret die Situation von Säuglingen und Kleinkindern in den Blick und gibt Fachkräften erste Anregungen für die Arbeit mit diesen Familien.

Einen vertiefenden Einblick zu diesem Thema und ihre besondere Expertise bringt Prof. Dr. Ute Ziegenhain im Rahmen ihres Vortrags bei unserem Fachkongress vom 28.-29. November 2024 in Leipzig und Online ein.

Fachkräfte erleben ihre Arbeit mit hochstrittigen Eltern häufig als sehr anstrengend und herausfordernd. Was kennzeichnet die Hochstrittigkeit von Eltern und wann sprechen wir von einer hochstrittigen Trennung oder Scheidung?

„Hochstrittigkeit beschreibt erbitterte Konflikte zwischen getrennten Eltern, die sie emotional heftig und unversöhnlich, ggf. auch gerichtlich austragen und die häufig chronifizieren. Dabei kann, auch bei adäquater professioneller Beratung und Unterstützung, meist keine Einigung bzw. keine einigermaßen alltagstaugliche Kooperation im Sinne der Kinder erreicht werden. Deren Perspektive wird nicht bzw. kaum gesehen und nicht berücksichtigt.“

Wir nehmen wahr, dass Eltern und Fachkräfte oftmals unterschätzen, welche Auswirkungen hochstrittige Konflikte der Eltern/Bezugspersonen auch schon auf Säuglinge und Kleinkinder haben. Wie schätzen Sie das ein?

„Auch Fachleute unterliegen bisweilen dem Trugschluss, dass Säuglinge und Kleinkinder wenig von konflikthaftem Verhalten ihrer Eltern mitbekommen würden. Tatsächlich sind insbesondere Säuglinge und Kleinkinder verängstigt, wenn Eltern sich in ihrer Anwesenheit, im Nebenzimmer oder bei Übergaben streiten und aggressiv sind bzw. ein Klima von Feindseligkeit ausstrahlen. Säuglinge und Kleinkinder wirken aber häufig vordergründig unbelastet, wenn sie sich ängstigen. Wenn man ihre nonverbalen Zeichen von Belastetheit und Angst nicht lesen kann, besteht die Gefahr darüber hinwegzusehen.“

Welche besonderen Herausforderungen gibt es nach einer Trennung für die Umgangsgestaltung mit Säuglingen und Kleinkindern?

„Es besteht das Dilemma, dass Säuglinge auf der einen Seite auf regelmäßige und engmaschige Kontakte mit dem getrenntlebenden Elternteil angewiesen sind. Andernfalls besteht das Risiko eines Bindungsabbruchs. Ihr Zeitempfinden entwickelt sich erst allmählich. Ebenso ist ihre Fähigkeit, nahestehende Menschen, die abwesend sind, in ihrem Gedächtnis zu halten, erst im Entstehen. Auf der anderen Seite sind Säuglinge und Kleinkinder hoch belastet und gestresst, wenn sich Eltern, etwa bei der Übergabe, streiten oder sich aggressiv bzw. feindselig verhalten.“

Herzlichen Dank!

Prof. Dr. Ute Ziegenhain ist Leiterin der Sektion Pädagogik, Jugendhilfe, Bindungsforschung und Entwicklungspsychopathologie an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind klinische Bindungsforschung, Intervention, Frühe Hilfen und Kinderschutz sowie Versorgungsforschung im Frühbereich.

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