Schlüsselqualifikationen einer Fachkraft im Kinderschutz
3 Fragen an Ursula Funk
Wie handele ich im (vermuteten) Fall einer Kindeswohlgefährdung? Eine Frage, die sich viele Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe stellen. Denn zur Erfüllung ihres Hilfe- und Schutzauftrags, der auch gesetzlich verankert ist, braucht es ein hohes Maß an Sensibilität, Einfühlungsvermögen und spezifischer Fachkenntnis.
Eine Fachkraft im Kinderschutz ist geschult, genau diese Hilfeprozesse professionell und mit dem nötigen Feingefühl anzustoßen und zu begleiten.
Wie an- und herausfordernd der Umgang mit (vermuteten) Fällen von Gewalt an jungen Menschen für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich sein kann, weiß Diplom-Psychologin Ursula Funk. Sie hat jahrzehntelange Erfahrung in der praktischen Kinderschutzarbeit und gibt ihre Expertise als Weiterbildungsreferentin weiter. Im Kurzinterview skizziert sie zentrale Aufgaben und Schlüsselqualifikationen einer Fachkraft im Kinderschutz und zeigt auf, wieso diese Qualifizierung für das ganze Team so bereichernd sein kann.
Liebe Ursula, wir fallen direkt mal mit der Tür in’s Haus: Warum sollte es in jeder Einrichtung und Institution der Kinder- und Jugendhilfe eine Fachkraft im Kinderschutz geben?
„Überall, wo es Kinder und Jugendliche gibt, gibt es auch Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen, wenn nicht gar in Not. Im Arbeitsalltag wird das schnell übersehen. In jeder Einrichtung sollte es also eine Person geben, die erkennen kann, wann ein Kind Hilfe braucht. Dazu braucht es Grundlagenkenntnisse über die Gewaltformen, ihre Auswirkungen auf die Kinder und ein Wissen über Hilfemöglichkeiten.
Außerdem muss jede Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ein Schutzkonzept haben. Dieses Schutzkonzept soll leben. Dazu braucht es eine Person, die sich damit auskennt und das Schutzkonzept aktiv hält. Auch das ist Bestandteil des Grundkurses.“
In § 8a des SGB VIII ist der Hilfe- und Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung gesetzlich verankert. Eine zentrale Aufgabe von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe ist es also, Hinweise auf Kindeswohlgefährdung zu erkennen, die Risiken für junge Menschen einzuschätzen und auf Hilfen hinzuwirken. Was sind hierbei die zentralen Herausforderungen für Fachkräfte und welche Schlüsselqualifikationen erhalten sie in der Weiterbildung, um diese bewältigen zu können?
„Die Herausforderung ist es, zu erkennen, wann es sich um eine mögliche Kindeswohlgefährdung handelt. Weitere Themen sind das Wissen um die Gewaltdynamiken in Familien und den Orten, wo die Gewalt stattfindet sowie das Ansprechen der Gefährdung im Kolleg*innenkreis. Und dann (wie im Gesetz gefordert) das Einbeziehen der betroffenen Kinder und Jugendlichen und den dazugehörenden Erziehungsberechtigten. Das ist vielleicht die größte Herausforderung. Es erscheint einfach und ist doch so schwierig mit den Betroffenen zu sprechen. Wir wollen im Kontakt bleiben und niemanden verschrecken. Wir wollen Hilfe initiieren und ein Verständnis bei den Erziehungsberechtigten für die innere und äußere Not der Kinder schaffen. Das geht nur im Dialog – und dieses Gespräch braucht Wissen und Übung.
In den Grundkursen vermitteln wir, welche Gewaltformen es gibt, wie sie sich an den Kindern, Jugendlichen und in den Familien zeigen und wie man die Beteiligten kompetent ansprechen und beteiligen kann. Wir vermitteln auch ein Basiswissen über Hilfeangebote. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Grundkurses ist das Einschätzen, ab wann eine insoweit erfahrene Fachkraft (InsoFa) miteinbezogen werden soll oder muss. Wir sprechen auch über Psychohygiene, professionelle Abgrenzung und die eigene Emotionalität.
Schlüsselqualifikationen sind also: das Erkennen von Gewalt an Kindern, das Wissen um deren Auswirkungen, die Fähigkeit zum Führen von Gesprächen darüber, das Wissen um bestehende Hilfeangebote und die Fähigkeit, die eigene Emotionalität zu regulieren.“
Mit deiner jahrzehntelangen Berufserfahrung im Kinderschutz-Zentrum Westküste bist du eine Expertin in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Hast du einen Ratschlag für Fachkräfte, wie sie in ihrem Arbeitsalltag die nötige Besonnenheit bewahren können, auch wenn die Konfrontation mit (vermuteten) Fällen einer Kindeswohlgefährdung wohl für alle Menschen sehr emotional und belastend ist?
„Je mehr Wissen ich über die Thematik Gewalt an Kindern und Jugendlichen habe, desto kompetenter kann ich damit umgehen. Schon deshalb lohnt sich der Grundkurs.
Wenn ich es mit einem Hinweis auf Kindeswohlgefährdung zu tun habe, sollte ich niemals allein bleiben. Der erste Schritt ist der Austausch im Team, mit der Leitung und in der Supervision. Der nächste Schritt auf alle Fälle die Fachberatung mit einer InsoFa, die sowohl bei der Gefährdungseinschätzung hilft als auch Hilfemöglichkeiten miterarbeitet und eine Anleitung zur Einbeziehung der betroffenen Kinder, Jugendlichen und der Erziehungsberechtigten geben kann. Sie hat außerdem die Emotionalität der anfragenden Fachkraft im Blick und kann ihr Unterstützung anbieten, um mit ihrer Belastung umzugehen.
Die Besonnenheit als Fachkraft bewahre ich mir durch Wissen (Grundkurs) und indem ich nie allein agiere.“
Herzlichen Dank!
Ursula Funk ist Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Supervisorin und Coachin sowie erfahrene Aus- und Fortbildnerin. Sie war außerdem bis 2024 langjährige Mitarbeiterin im Kinderschutz-Zentrum Westküste, davon 14 Jahre in der Leitung.