Was künftige Fachkräfte im Kinderschutz brauchen

3 Fragen an Psychologin Mareike van‘t Zet

Um den vielfältigen Anforderungen moderner Kinderschutzpraxis gerecht zu werden, brauchen Studierende der Sozialen Arbeit und benachbarter Studiengänge als künftige Fachkräfte und Verantwortungsträger*innen nicht nur Fachwissen, sondern eine selbstbewusste Fachlichkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflektion. Um sie bereits während des Studiums in diesen Bereichen zu fördern und für die Anforderungen einer Tätigkeit im Kinderschutz zu sensibilisieren, bieten Die Kinderschutz-Zentren bereits seit 2013 zusammen mit vielen Kooperationspartner*innen alle zwei Jahre die Sommerhochschule Kinderschutz an wechselnden Standorten an.

Aber was brauchen künftige Fachkräfte im Kinderschutz eigentlich ganz konkret, um den Anforderungen praktischer Kinderschutzarbeit beim Berufsfeldeinstieg gewachsen zu sein?

Darüber haben wir mit Diplom-Psychologin Mareike van‘t Zet gesprochen. Sie ist Leiterin des Kinderschutz-Zentrums in Oldenburg und Bundesvorstand der Kinderschutz-Zentren. Sie kann auf vielfältige Erfahrungen im Jugendamt und anderen Arbeitsfeldern zurückgreifen. Kinderschutz ist und war dabei eines ihrer zentralen Themen.

Was brauchen künftige Fachkräfte deiner Meinung nach im Kinderschutz ganz besonders?

„In erster Linie brauchen sie eine Haltung. Zu dem Ergebnis komme ich immer wieder in Gesprächen mit vielen Leitungskräften, die ich führe. Das klingt nach einer Floskel, ist aber in meinen Augen der Kern.

Diese Haltung kann es Fachkräften möglich machen, Menschen in den unvorstellbarsten Situationen noch wertzuschätzen und zu respektieren – ohne zu viel unbewusste Angst vor dem Fremden und Unbekannten. Sie ist übrigens auch die Grundlage jeder fachlichen Handlung. Haltung findet sich weder in Lehrbüchern oder Checklisten noch in spiritueller Literatur. Vielmehr entsteht sie aus gut reflektiertem gelebtem Leben und auch Lernen. Und natürlich aus einer inneren Offenheit, einer Neugier, einem Wunsch immer weiter und immer Neues zu lernen.“

Wie komme ich denn an diese Haltung?

„Das ist ein Prozess und das macht es so kompliziert. Es reicht eben nicht, sich an Gesetze oder Handlungsleitfäden zu halten und diese umzusetzen. Die lebendigen und lernenden Fachkräfte brauchen, genauso wie die Familien selbst, Räume, in denen Entwicklung stattfinden kann. Fachinfos kann ich teils auch digital, im Frontalunterricht oder Literaturstudium gut lernen. Dann kann ich sie aber noch nicht unbedingt anwenden.

Was mit mir in heiklen Situationen passiert, wenn mich beispielsweise ein*e Klient*in bedroht, sich mir ein Kind über erlebte Gewalt offenbart oder eine Mutter mir mit Selbstmord droht – das lerne ich nur, wenn ich im Real Life bin, diese Erfahrungen erlebe und mit anderen teilen und auswerten kann.

Fundiertes Fachwissen ist extrem wichtig und sinnvoll, wenn gleichzeitig dem Prozess, eine Haltung zu entwickeln, Raum gegeben wird. Falsche Handlungen oder Unterlassungen im Kinderschutz kosten Leben, das müssen wir alle wissen.

Wenn ich fachlich nicht weiß, dass das 3 Monate alte Baby gar nicht vom Wickeltisch gerollt sein kann, wie die Eltern sagen, weil es sich in dem Alter noch gar nicht drehen kann, dann kann ich die mögliche Gewalt in der Familie, die aus Scham sicher nicht offen mitgeteilt wird, nicht erkennen. Und dann kann ich auch nicht daran arbeiten, die Familie für einen Hilfe- und Veränderungsprozess zu gewinnen und das Kind zu schützen.“

Die Fähigkeit zur Selbstreflektion stellt einen wichtigen Aspekt in der Entwicklung einer fachlichen Haltung dar. Welche Fragen können hier deiner Meinung nach für Fachkräfte hilfreich sein?

„Zunächst einmal sollten der eigene theoretische aber auch praktische Wissensstand permanent hinterfragt werden: Habe ich genug Fachwissen zu sich entwickelnden Familiendynamiken in Krisen? Bin ich fit z. B. in den Schritten kindlicher Entwicklung? Habe ich einen erprobten Methodenkoffer, der mir in schwierigen Situationen hilft?

Darüber hinaus ist dann aber auch von enormer Bedeutung, sich selbst und der eigenen Rolle im Hilfesystem einen Spiegel vorzuhalten: Kenne ich mich selbst gut genug, meine blinden Flecken, meine Ressourcen? Kenne ich das Netzwerk, das unterstützen kann und bin ich ein aktiver Teil desselben? Finde und fühle ich den richtigen Ton im Gespräch mit „Frau Meyer“? Kann ich das alles aushalten, was da passiert und traue ich mich, mein eigenes Wohl an die erste Stelle zu setzen, auch wenn mein*e Arbeitgeber*in von Fachkräftemangel spricht und meint, mich nicht entlasten zu können?

Die Beantwortung solcher Fragen an sich selbst ist nicht einfach. Es macht in meinen Augen deutlich, dass die oftmals so abwertend behandelte Soziale Arbeit ein hochkomplexer und hoch anspruchsvoller Prozess ist, wenn sie wirkungsvoll sein soll.“

Vielen Dank, Mareike!